Aus dem Tages-Anzeiger vom 22.01.2025
Operieren oder einschläfern? Und wer zahlt die Operation für eine ungechippte Katze? Der «Fall Brombeeri» wurde bis vors oberste
Gericht gezogen.
Von Sabrina Bundi
Im August 2022 läutet das Telefon bei der Polizei Kanton Solothurn. An der Bushaltestelle Kirche in Neuendorf liege eine schwer verletzte Katze. Kein verfilzter Streuner, sondern eine gut genährte, zahme und schön gepflegte Katze. Die Polizei bringt das hechelnde und blutende Tier in eine Tierklinik in der Nähe. Diagnose: Schädeltrauma und Bruch der Gaumenspalte und des Kiefers. Wahrscheinlich ist sie angefahren und liegen gelassen worden.
Die Katze wird sofort operiert. Sie trägt aber weder ein Halsband mit Adresse, noch ist sie gechippt, also weiss die Klinik nicht, wem sie gehört. Auch auf die Ausschreibung auf der Plattform der Schweizerischen Tiermeldezentrale meldet sich niemand. Nach der erfolgreichen Operation wird die Katze an NetAP (Network for Animal Protection) übergeben. Die Tierschutzorganisation kümmert sich um die Pflege und findet für Brombeeri – so lautet ihr neuer Name – ein Zuhause, wo sie geliebt wird. Aber wer übernimmt nun die Rechnung für die Operation? Rund 3300 Franken kostete es, dem Tier das Leben zu retten. Die Klinik bleibt auf der Rechnung sitzen.
Anwalt von NetAP will einen Grundsatzentscheid
Bruno Mascello ist Professor für Recht an der Universität St. Gallen und Vizepräsident der Tierschutzorganisation NetAP. Er hat sich des Falls der Katze angenommen und ihn bis ans Bundesgericht eskalieren lassen. Denn er möchte mit Brombeeris Beispiel einen Grundsatzentscheid im Schweizer Tierschutz vorantreiben. Er will die Frage geklärt haben: «Wer ist für aufgefundene, verletzte Tiere zuständig?» Für ihn ist klar: Tierschutz ist die Aufgabe der Gemeinde, und somit müsse die Gemeinde auch die Rechnung für die Operation übernehmen.
Verwaltungsgericht und Bundesgericht sehen das anders. Es bestehe keine gesetzliche Pflicht der Gemeinde, weder aus Tierschutzrecht noch Fundrecht. Die Katze sei weder der Gemeinde übergeben worden, noch habe die Gemeinde eine medizinische Behandlung in Auftrag gegeben. Halter oder Halterin seien verantwortlich für das Tier und verpflichtet, die Rechnungen zu bezahlen. Da die Katze zahm gewirkt habe, sei davon auszugehen, dass sie jemandem gehöre.
Ähnlich beurteilt das auch Peter V. Kunz, Professor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Bern und einer der bekanntesten Tierrechtler der Schweiz. Er empfindet die rechtliche Grundlage als ausreichend. «Die Gemeinde kann nicht sozusagen automatisch für Haustiere haften. So eine Regelung hätte unhaltbare Folgen für Gemeindekassen», sagt er. Das Problem im Fall Brombeeri liege woanders: «Die Klinik hätte so eine teure Operation nicht durchführen sollen, wenn sie nicht bereit ist, die Kosten zu tragen.»
Ging die Klinik ein Risiko ein
Die Verantwortungen im Fall der Findelkatze dröselt Peter V. Kunz nacheinander wie folgt auf: Zunächst wäre die Person verantwortlich, welche die Katze verletzt hat. Wenn sie beispielsweise von einem Auto angefahren wurde. Als Zweites muss grundsätzlich die Tiereigentümerin oder der -eigentümer die Rechnung übernehmen. Wenn beide nicht auffindbar sind, hätte die Tierklinik laut Peter V. Kunz «nicht eine so teure Operation einfach machen dürfen und danach jemandem in Rechnung stellen». Damit habe sie juristisch eine sogenannte Geschäftsführung ohne Auftrag durchgeführt. Selbst wenn der Tiereigentümer im Nachhinein gefunden würde, könnte er laut Kunz bei der Tierklinik geltend machen, dass es zwar seine Katze sei, er aber nie 3000 Franken für eine Operation bezahlt hätte. Mit der teuren Notoperation sei die Klinik
«tatsächlich ein gewisses Risiko eingegangen», sagt der Tierrechtler.
Kunz sagt, viele Tierärzte hätten als erste Massnahme die Katze stabilisiert und «eventuell eine Euthanasie für wenig Geld in Betracht gezogen».
Für Bruno Mascello wird zu viel Verantwortung, welche für ihn die öffentliche Hand übernehmen müsste, auf die Tierärzte geladen. «Tierschutzaffine Tierärzte werden in ein Dilemma gebracht», sagt er. Er befürchtet, dass mit dem Urteil des Bundesgerichts Tiere öfter eingeschläfert oder gar nicht erst in die Klinik gebracht werden, weil niemand für sie verantwortlich sein will. Zumal die Katze auch «zu einem Wegwerfartikel» geworden ist, wie Mascello sagt. Bis zu zwei Millionen Katzen mit Halter leben in der Schweiz.
Für beide Professoren könnte das Katzenelend in der Schweiz mit einer Chip- und Kastrationspflicht gelöst werden. Mit einer Kastrationspflicht wird das Tierelend am Ursprung gepackt. Und mit einem Chip könnte jeder vermisste Liebling dem Besitzer oder der Besitzerin zurückgebracht werden, bei einem Unfall könnte die Katze sofort zugeordnet werden, und überlastete Tierheime würden entlastet, sagt die Nationalrätin der Grünen Meret Schneider.
Neuer Anlauf für nationale Chippflicht
Auch sie möchte den unkontrollierten Katzen-Wildwuchs auf nationaler Ebene eindämmen und hat Ende Dezember Vorstösse eingereicht. Darin verlangt sie vom Bundesrat, Tierhalterinnen und Tierhalter dazu zu verpflichten, ihre Katzen kastrieren und chippen zu lassen. Für Bauernhofkatzen soll gelten, dass sie erst nach dem ersten Wurf kastriert werden müssen.
Mit dieser Pflicht will sie einerseits die vielen Katzen schützen, aber auch Vögel, Reptilien und Insekten, die unter der wachsenden Katzenpopulation leiden. Und sie möchte die Tierheime entlasten: «Ich habe einige Tierheime besucht und viele haben einfach keinen Platz», so Schneider. Vor allem die Katzen seien ein Problem: «Einige erzählten mir, die Leute würden ihnen einfach Kätzchen bringen und sagen, entweder nehmt ihr sie, oder wir bringen sie um.»
Schneider räumt ihren Vorstössen grosse Chancen ein, da sie über alle Parteien hinweg sehr breit abgestützt seien. Ausserdem hat auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Ende Dezember einen neuen Anlauf für eine nationale Regelung angekündigt. Es wolle Abklärungen für eine nationale Chippflicht treffen.
Kunz sagt: «Keine Chance»
Tierrechtler Peter V. Kunz findet es gut, dass Meret Schneider sich auf Bundesebene für eine nationale Chip- und Kastrationspflicht einsetzen will. Er hat allerdings die Befürchtung, dass sie chancenlos sein wird. «Die Bauernlobby wird die Vorstösse wegen der zusätzlichen Kosten bekämpfen.» Die meisten Katzen würden auf Bauernhöfen leben, und die Bauern hätten kein Interesse daran, sie zu chippen oder teuer kastrieren zu lassen. Ein Chip kostet zwischen 70 und 110 Franken, die Kastration vom Kater zwischen 120 und 150 Franken und bei der Katze von 200 bis 250 Franken.
Ausserdem glaubt er, dass auch der Bundesrat kein grosses Interesse an einer Chippflicht zeigen werde: «Der Bund wird sagen, dass Katzengesetze wie die Hundegesetze Aufgabe der Kantone seien, und die Kantone werden den Schwarzen Peter an den Bund zurückschieben», vermutet Kunz. Zwar gäbe es in manchen Kantonen wie Zürich, Aargau und Bern bereits Gesetze oder politische Vorstösse zu Katzenthemen, aber für die nationale Ebene «fehlt es den Katzen an einer Lobby».